"Die Wissenschaft konnte bislang kein Risiko belegen"
Interview mit Gregor Dürrenberger, Geschäftsleiter der Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation.
Sind elektromagnetische Felder von Mobilfunkantennen, wie sie heute in der Schweiz stehen und mit 5G vereinzelt schon in Betrieb sind, ein gesundheitliches Risiko?
Nach allem, was heute wissenschaftlich bekannt und belegt ist: nein. Die Strahlung von Basisstationen ist schwach. Wenn wir unser Mobiltelefon gebrauchen, sind wir viel stärkeren Feldern ausgesetzt.
Viele Leute behaupten, dass 5G viel stärker strahle als 4G und die Einflüsse auf Mensch und Tier stärker seien. Gibt es einen Unterschied von der 4G- zur 5G-Strahlung?
Nein, 4G und 5G sind heute vergleichbar. 5G wird mit ähnlichen Signalen und mit ähnlichen Frequenzen senden wie 4G. Auch die Sendeleistungen sind vergleichbar. Weil 5G aber zu den bereits bestehenden Technologien hinzukommt, wird die Hintergrundstrahlung insgesamt etwas ansteigen. Sie liegt aber weiterhin auf sehr tiefem Niveau.
Generell: Was kann Antennenstrahlung in unserem Körper verursachen? Und wieviel davon braucht es, damit so etwas geschieht?
Der Körper absorbiert die Energie der Strahlung. Das erhöht die Temperatur der exponierten Gewebe. Die Grenzwerte limitieren die maximal zulässige Strahlung so, dass es nie, nicht einmal annähernd, zu einem gesundheitlich problematischen Temperaturanstieg kommen kann. Über biologische und gesundheitliche Wirkungen von Strahlung deutlich unterhalb der Grenzwerte, wie sie für Basisstationen typisch ist, wurde schon viel geforscht, aber bis heute ist wissenschaftlich unklar, ob so schwache Strahlung gesundheitlich relevant ist.
Das Hauptinteresse in der Forschung gilt ganz klar den Handys.
Ist es aus wissenschaftlicher Sicht zwingend, dass die Antennenstrahlung in der Schweiz nur ein Zehntel so stark sein darf im Vergleich zu dem, was die Internationalen Strahlenschutzkommission ICNIRP bzw. die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt?
Nein. Die Schweiz folgt hier dem Vorsorgeprinzip, das im Umweltschutzgesetz verankert ist: Im Sinne der Vorsorge sind Einwirkungen, die schädlich oder lästig werden könnten, frühzeitig zu begrenzen. Es braucht dazu keine wissenschaftliche Beweisführung, politisch akzeptable Hinweise genügen. Die Höhe des Vorsorge-Grenzwertes wurde vom Bundesrat Ende der 90er Jahre als Kompromiss zwischen unterschiedlichen Forderungen festgesetzt. Die Empfehlungen von WHO und ICNIRP basieren dagegen auf belegten gesundheitlichen Gefahren. Der internationale Grenzwert schützt damit vor allen wissenschaftlich nachgewiesenen Gesundheitsrisiken.
Wie stark beeinflusst die Risikowahrnehmung unser Wohlbefinden? Gibt es hier auch wissenschaftliche Untersuchungen?
Wir kennen das Sprichwort: "Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss." Umgekehrt bedeutet das: Was ich weiss, kann mich heiss machen. Es gibt in der Tat viele experimentelle Studien, die zeigen, dass Überzeugungen die Gesundheit und das Wohlbefinden beeinflussen können. Bekannt ist in der Medizin der sog. Plazebo-Effekt: Schluckt ein Patient ein Medikament ohne Wirkstoff, er oder sie glaubt aber, dass der Wirkstoff drin ist, kann ein solches Scheinmedikament trotzdem die Gesundheit verbessern, weil der Glaube an die (vermeintliche) Wirkung Selbstheilungskräfte mobilisiert. Umgekehrt kann die Überzeugung, etwas sei schädlich, emotional belastend sein und das Wohlbefinden negativ beeinflussen. Nicht die Strahlung, sondern der Glaube an die Schädlichkeit der Strahlung ist in diesem Fall der gesundheitlich wirksame Faktor.
Die Mobilfunkanbieter sagen, die Grenzwerte in der Schweiz müssen gelockert werden, damit 5G als Schlüsselfaktor für die Digitalisierung überhaupt eingeführt werden kann. Was halten Sie davon?
Bei der Festlegung vorsorglicher Grenzwerte wird immer eine politische Güterabwägung vorgenommen, in welcher der Gesundheit eine wichtige, aber nicht die allein entscheidende Bedeutung zukommt. Als die Anlagegrenzwerte festgesetzt wurden, war 5G nicht einmal am Horizont angedacht. Wenn die Vorsorgelimiten nun die Einführung von 5G und die Digitalisierung der Gesellschaft erschweren, ist die Politik gefordert: Braucht es eine neue Güterabwägung? Egal wie politisch entschieden wird, meiner Meinung nach sollten solche Abwägungen immer das Gemeinwohl ins Zentrum stellen und nicht eine eng verstandene Partikularsicht, sei das nun der Gesundheitsschutz oder die Netzentwicklung.
Mit dem Internet der Dinge werden noch viel mehr Geräte miteinander kommunizieren als heute. Autos, Haushaltsgeräte, ganze Häuser – das klingt nach viel mehr Strahlung um uns herum. Grund zur Sorge?
Es ist anzunehmen, dass die Hintergrundstrahlung in den kommenden Jahren zunehmen wird. Für die persönliche Strahlenbelastung ist das aber von untergeordneter Bedeutung, denn die Hauptquellen im Alltag sind die eigenen Geräte, die man benützt, insbesondere das Mobiltelefon, das Schnurlostelefon und das Tablet/Notebook. Die durch Basisstationen und andere Installationen verursachte Exposition ist eher klein. Wissenschaftlich gesehen besteht hier kaum Grund zur Sorge.
Wenn jemand findet, Antennen- oder Handystrahlung könnte ein Risiko sein. Was kann er tun, um die Strahlenbelastung zu reduzieren? Ist das Handy am Ohr ein Risiko?
Nochmals: Die Wissenschaft konnte bislang kein Risiko belegen, weder bei Mobiltelefonen noch bei Basisstationen. Das Hauptinteresse in der Forschung gilt ganz klar den Handys, weil sie den Menschen am stärksten exponieren, viel mehr als fixe Antennenanlagen. Wenn man seine persönliche Exposition tief halten will, gibt es recht einfache Massnahmen: mit einem Headset oder im Freisprechmodus telefonieren (die Antenne ist dann weiter vom Kopf entfernt, die Feldstärken am Körper sind deutlich geringer), mit 3G oder 4G telefonieren (je neuer die Technologiegeneration, desto effizienter werden Daten übermittelt), Textnachrichten statt telefonieren (das Versenden von Text erfordert nur eine kurze Kommunikation mit der Basisstation).