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Schweizer Spielestudios im Porträt, Teil 2: Momo-Pi

Sie spriessen wie Pilze aus dem Boden: In der Schweiz entstehen immer mehr Spielefirmen, deren Games auch international Anklang finden. In unserer Porträtserie stellen wir die spannendsten von ihnen vor. Heute: Momo-Pi und sein neues Game «Captain Velvet Meteor: The Jump+ Dimensions».

Achim Fehrenbach

10. Oktober 2022 . Lesedauer: 5 Min.

Wenn Rinaldo Wirz morgens am Schreibtisch sitzt, schlafen seine Team-Mitglieder meist noch tief und fest. Der Grund: Rinaldo lebt und arbeitet in der japanischen Metropole Kyoto, die Kolleginnen und Kollegen jedoch in Bulle, Lausanne und Zürich. Zwischen ihnen liegen fast 10‘000 Kilometer Luftlinie. Die räumliche Distanz und Zeitverschiebung sind längst Alltag: Schon seit 2015 arbeitet das Team in diesem Modus. 2020 wurde Momo-Pi dann offiziell als Genossenschaft gegründet. Im Juli 2022 veröffentlichte das Studio sein neustes Werk: das strategische Rätsel-, Schleich- und Kampfspiel «Captain Velvet Meteor: The Jump+ Dimensions».

Aber warum eigentlich «Momo-Pi»? Wirz erzählt, wie das Studio zu seinem Namen kam. «Als wir loslegten, wollten wir das Zeichen 'Pi' im Namen haben», sagt er. «Denn ich glaube, dass es der Quellcode für die Erschaffung jeder Art von Materie sein könnte.» Das japanische Wort «Momo» wiederum bedeutet «Pfirsich». In Kombination mit «Pi» ergibt sich daraus ein Wortspiel: Das Ganze klingt wie «Momo pie», also «Pfirsichkuchen».

Geburt einer Spielfigur

Heute besteht das Kernteam von Momo-Pi aus drei Leuten: Creative Director Rinaldo Wirz und den beiden Programmierern Cédric Reinhardt und Guillaume Schneuwly. Die Idee zur Figur des «Captain Velvet Meteor» stammt von Rinaldo Wirz. 2012 schuf er als Abschlussarbeit an der Kunsthochschule Ceruleum in Lausanne einen animierten Kurzfilm gleichen Namens. Der rund zweiminütige Film dreht sich um den Jungen Damien, der begeisterter Game-Boy-Spieler ist. Als sein Vater den Game Boy versteckt, schleicht sich Damien in dessen Büro, um das Gerät zurückzuholen. Um das zu schaffen, verwandelt er sich in den Superhelden «Captain Velvet Meteor».

Die Geschichte trägt durchaus autobiographische Züge. «Als ich klein war, versteckte meine Mutter unseren Game Boy, damit wir nicht zu viel spielen – und ich suchte ihn immer», erzählt Wirz. Schon früh war er überzeugt, dass der Kurzfilm ein guter Ausgangspunkt für weitere Animationen, Comics und sogar Games sein könnte. Zunächst widmete sich Wirz jedoch anderen Projekten: Ende 2013 zog er nach Japan, um bei verschiedenen Spielestudios als Animator und Art Designer zu arbeiten. 2015 kontaktierte er dann den Programmierer Cédric Reinhardt, mit dem er früher zusammengearbeitet hatte, und fragte ihn, ob er nach wie vor an Games-Projekten interessiert sei. Er war interessiert! Gemeinsam mit Guillaume Schneuwly schufen sie Momo-Pi.

Rinaldo hatte zu diesem Zeitpunkt schon ein neues Projekt in Planung: «Spirit» ist ein Adventure, dessen leuchtend-durchscheinende Grafik an Aquarellmalerei erinnert. Auch das Motto von «Spirit» klingt geheimnisvoll: «We all have two lives… The second one begins when we realize we only have one.» Rinaldo, Cédric, Guillaume, der Narrative Designer David Javet und der Music and Sounds Composer Philippe Güdemann begannen gemeinsam an dem Projekt zu arbeiten, das sich dann allerdings als noch zu gross erwies.

Der Tod als Schlüssel zum Weiterkommen

Momo-Pi legte «Spirit» zunächst auf Eis und begann, an «Persephone» zu arbeiten. Dabei handelt es sich um ein Rätselspiel, bei dem der Tod der Schlüssel zum Weiterkommen ist. Wer im Spiel stirbt, kann nach seiner Wiederbelebung die Leiche nutzen – etwa als Versteck oder als Brücke über Abgründe. «Wir haben aus diesem Twist einige interessante Todesarten abgeleitet und konnten daraus mehr als 100 originelle Levels erstellen», erzählt Wirz. 2019 erhielt das Spiel beim Google Indie Games Showcase 2019 einen Preis vom japanischen Manga-Verlag Shueisha und wurde auch am SwissGames-Stand auf der Computerspielmesse gamescom gezeigt. Leider erhielt «Persephone» aber nicht die Aufmerksamkeit von Gaming-Fans, die sich Momo-Pi erhofft hatte. Wer neugierig geworden ist, kann die Demo von «Persephone» auf der Download-Plattform Steam ausprobieren.

Der Kontakt zu Shueisha erwies sich als wertvoll. Der Verlag publiziert unter anderem das Online-Magazin Shonen Jump+ mit einer ganzen Reihe von Superheldinnen und Superhelden. Wirz schlug Shueisha vor, einige dieser Figuren mit Captain Velvet Meteor zusammenzubringen. Der Verlag willigte ein. So begann die Arbeit am Computerspiel «Captain Velvet Meteor: The Jump+ Dimensions». Auch hier steht wieder der Junge Damien aus dem Kurzfilm im Mittelpunkt: Als er mit seiner Familie nach Japan zieht, wird sein Leben auf den Kopf gestellt. Damien ist sehr scheu – und in seiner neuen Umgebung auch sehr einsam. Um die Einsamkeit zu überwinden, erschafft Damien in seiner Fantasie den Helden Captain Velvet Meteor. Zusammen mit seinen Lieblingshelden aus Jump+ macht er sich auf die Suche nach Abenteuern.

Neu in Japan: Damien, hier mit seinem Hund Lucien

Spieleentwicklung mit Hindernissen

Inzwischen ist das Spiel im Store der Nintendo Switch gelandet. Doch seine Entwicklung war keineswegs frei von Hindernissen. «Die erste Herausforderung betraf die Produktion des Spiels – also das Hin und Her zwischen unserem Projekt, der Story und den Manga-Zeichnern von Shueisha», erzählt Wirz. «Das war ein wirklich interessanter Prozess, aber er beanspruchte mehr Zeit als erwartet.»

 

Eine persönliche Herausforderung war für Wirz, die Verantwortung für das gesamte Projekt zu tragen. Der Stress, die Freude, Hunderte von Überstunden nachts oder am Wochenende, weil ihn die Details des Spiels noch nicht überzeugten – all das sei für ihn sehr anstrengend gewesen. «Der Kampf mit mir selbst – und der Weg, den ich persönlich gehen musste – war womöglich der schwierigste Teil», ergänzt er. «Allerdings ist es auch der beste, denn diese Freiheit gab mir die Möglichkeit, meine eigene Vision zu verwirklichen.»

Existenzielle Fragen

Als Game-Designer will sich Wirz mit Themen beschäftigen, die ihm persönlich wichtig sind und die auf eigenen Erfahrungen beruhen. Die bisherigen Spiele von Momo-Pi haben aus seiner Sicht ein übergreifendes Thema. «Ich hinterfrage das, was wir für gewöhnlich als Realität bezeichnen», sagt Wirz. Das Entwickeln von Computerspielen ermögliche ihm, eigene Storys zu erschaffen, die die Realität ebenfalls infrage stellen. «Oder möglicherweise auch Antworten geben.»

 

Jedes Spiel von Momo-Pi ist insofern eine Fortsetzung des vorigen. Bei «Persephone» konzentrierte sich das Team voll und ganz aufs Game-Design. «Captain Velvet Meteor» half ihm, seine erzählerischen Fähigkeiten zu trainieren. Mit neuen Kenntnissen und gestärktem Selbstvertrauen ist Momo-Pi nun bereit, zum Grossprojekt «Spirit» zurückzukehren. Man darf gespannt sein!

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