1. Der Cast
Depardieu als Bürgermeister Robert Taro verkörpert das dickbäuchige Establishment, das den Kontakt zum Menschen verloren hat, optimal. Obwohl er einen sympathischen Helden und die moralische Instanz darstellt, bedeutet ihm Macht und Ansehen letztlich mehr als sein Leben. Seinen politischen Gegner, Lucas Barres, gespielt von Benoît Magimel, muss man derweil einfach hassen, während die Bürgermeister-Tochter Julia alias Stéphane Caillard mit ihrem verspielten französischen Charme besticht.
2. Die Stadt
Der Netflix-Zuschauer erfährt hier nicht nur allerhand über die zweitgrösste Stadt Frankreichs, sondern taucht bisweilen auch regelrecht ein ins Elendspanorama und die Mittelmeer-Idylle zugleich, wird von Fussball über die rechtsfreien Ghettos bis hin zu Altstadtgässchen auf diverse Reisen mitgenommen und dabei stets mit typischer Frankreich-Romantik konfrontiert. Aktuelle Themen wie Gentrifizierung, die Nutzung eines internationalen Hafens und die Kultur sind zeitgemäss abgehandelt und lassen einen – allen Mafia-Unkenrufen zum Trotz – sogleich die Flüge nach Marseille abchecken.
3. Der Titelsong
Orange Blossom, die Band aus Nantes, die sich dem Genre Worldmusic widmet, hat hiermit einen echten Ohrenschmaus geschaffen. Während man bei anderen Netflix-Serien stets den Skip-Knopf drückt, hört man bei «Ya Sidi» immer wieder gerne hin.
4. Die Machenschaften
Nicht so hollywoodesk wie bei «House of Cards», aber mindestens genau so intrigant und böse geht es in «Marseille» zu und her. Abgesehen davon, dass Sex, Drogen und Mafia-Verbindungen ganz grundsätzlich einen Hingucker darstellen, sind vielerlei Thematiken auch äusserst nah am richtigen Leben. Das beste Beispiel: Der Rechtsrutsch in Europa sowie die Gründe dafür, spielen auch in der Serie eine grosse Rolle.
5. Staffel 2
Normalerweise nimmt die Qualität einer Serie mit jeder weiteren Staffel, die nicht schon im Voraus geplant war, eher ab. Bei «Marseille» ist das Gegenteil der Fall. Nachdem die erste Staffel bei Kritikern durchaus polarisierte, sind die Meinungen zu den neuen Folgen bislang fast durchs Band pos itiv. Eine junge Politikerin von rechts-aussen (wohl in Anlehnung an Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen) kommt als zusätzliche Gegenspielerin Taros ins Spiel – und fügt sich nicht nur optimal ins Gefüge ein, sondern lässt vor dem TV tatsächlich neuerliche Antipathie aufleben.